Die Erzählung des Grafen – Kapitel I: Die ersten Schritte im Glanz von Versailles (1775)

Im Jahr 1775 betrat Graf Barentin, ein junger Herr von zurückhaltender Eleganz, unter den vergoldeten Sälen von Versailles zum ersten Mal die Marmorgalerien, wo das Licht der Kronleuchter mit den Schatten zu tanzen schien. Er besaß weder die Arroganz alter Familien noch die Leidenschaft des Ehrgeizigen; sein Auftreten, das die Anmut eines Höflings mit der Klugheit eines Beobachters vereinte, prädestinierte ihn dazu, sich in diesem Theater des Scheins zu bewegen. Der Hof, dieses Universum, in dem sich hinter jedem Lächeln eine Berechnung, hinter jeder Verbeugung eine Strategie verbarg, empfing ihn mit einer von Misstrauen durchzogenen Neugier. Barentin, genährt von den Maximen La Rochefoucaulds und den Fabeln La Fontaines, hatte gelernt, dass Genealogie eine Waffe, Etikette eine Sprache und Schweigen eine Rüstung war. Er entzifferte die verstohlenen Blicke, das Rascheln der Seide, das gedämpfte Gemurmel hinter den Fächern als Zeichen einer kodifizierten Welt.

Versailles war unter der Herrschaft Ludwigs XVI. ein lebendiges Paradoxon: eine Prachtmaschinerie, in der die Strenge der Sitten unter den Launen einer heranwachsenden Königin zerbröckelte. Ludwig XVI., ein frommer und strenger Monarch, bildete den Kontrast zur sinnlichen Pracht seines Großvaters. Seine Frömmigkeit trieb ihn dazu, während der Fastenzeit zu fasten und die Gesetze der Kirche peinlich genau zu respektieren, während seine Leidenschaften – Geographie, Karten, die mechanischen Künste – ihn in seine Privatgemächer fesselten. Dort, zwischen Reliefkarten, Schiffsmodellen und einer kleinen Schmiede, wo er mit einem Schlosserjungen das Schlosserhandwerk übte, fand er Zuflucht fernab von Intrigen. Er liebte es, auf dem Dachboden des Schlosses umherzuwandern, Versailles durch ein Fernglas zu betrachten oder Passagen von Milton in fließendes Englisch zu übersetzen. Marie-Antoinette warf ihrem Mann mit dem Schmollmund eines verwöhnten Kindes diese Vorliebe für die „mechanischen Künste“ vor und träumte von edleren Entspannungsmöglichkeiten für ihn. Barentin, ein diskreter Zeuge dieser Spannungen, notierte in seinem Notizbuch die seltsame Einsamkeit des Königs, eines Gefangenen seiner Krone.

Eines Herbstabends erreichte Barentin eine Nachricht, kalligrafiert mit schwarzer Tinte, versiegelt mit einer Wachslilie und eingebettet in ein grünes Seidenetui. Seine Finger zitterten, als er sie öffnete, denn sie enthielt die begehrte Einladung: ein Abendessen im Petit Trianon. Der Name klang wie ein Versprechen, ein Flüstern von Träumen, in denen die Realität verschwand. Das Trianon, 1774 von Ludwig XVI. Marie-Antoinette geschenkt, war von Ange-Jacques Gabriel für die botanischen Wissenschaften Ludwigs XV. entworfen und zu einem Zufluchtsort geworden. Die Königin, des bedrückenden Glanzes des Schlosses überdrüssig, hatte dort einen anglo-chinesischen Garten angelegt, geschmückt mit Fabriques, in denen sie Schäferin oder Schauspielerin spielte. Als er durch das Tor trat, wurde Barentins Herz leichter, als verströmten die rosa Steinmauern, getaucht ins Dämmerlicht, einen Duft der Ewigkeit. Die Salons mit ihren schlichten Kronleuchtern vibrierten von unwirklicher Süße; Gespräche, frei von Etikette, schwebten wie Nebel aus einem Traum. Dort, umgeben von der Prinzessin von Lamballe, deren Treue wie ein Bollwerk gegen Intrigen schien, und dem Grafen von Artois, dessen leichter Geist eine ruhelose Seele verbarg, lachte die Königin, und ihre blauen Augen funkelten kindlich.

Das Trianon-Theater, noch im Entstehen, nach den Plänen von Richard Mique, faszinierte Barentin. Er beobachtete die Arbeiter beim Schnitzen der Holzarbeiten, die Maler beim Zeichnen der Girlanden, als webten sie eine märchenhafte Kulisse. Manchmal wagte er es, eine Lilie für eine Loge oder einen Blauton für einen Vorhang vorzuschlagen, und Mique fügte sich lächelnd und behielt die Pracht. Die Augenblicke, in denen Marie-Antoinette mit einem Schal über den Schultern das Werk besichtigte, waren ein Gefühl der Glückseligkeit. Ihr Lachen, leicht wie eine Brise, schien die Zeit anzuhalten; der Duft der Rosen, die tanzenden Schatten der Ulmen im Mondschein – all das verschwor sich, um das Trianon zu einer kristallklaren Blase zu machen, einem flüchtigen Eden, in dem Barentin sich von einem traumgleichen Rausch mitreißen ließ. Er genoss diese Nächte, ihrer Zerbrechlichkeit bewusst, wie ein Schläfer, der das Erwachen fürchtet. Doch selbst in diesem Refugium kursierten Gerüchte: Das Fehlen eines Erben führte zu grausamen Pamphleten, die dem König Impotenz vorwarfen, seine Dicklichkeit oder seine Vorliebe für das Schlosserhandwerk verspotteten. Barentin, seiner Zurückhaltung treu, behielt seine Gedanken für sich, bemerkte aber: „Dieser Traum ist zu schön, um ewig zu dauern.“

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